Cathrin Witte über den steigenden Bedarf an weiblichen Führungskräften im Projektmanagement
Der Anteil von Frauen im Projektmanagement macht seit Jahren etwa 30 Prozent aus. Dabei schätzt das Project Management Institute in seinem im Jahr 2021 veröffentlichten Talent Gap Report, dass bis zum Jahr 2030 weltweit 25 Millionen neue Projektmanager:innen benötigt werden, um den Bedarf an qualifizierten Fachkräften für die weltweit fortschreitende Projektifizierung der Arbeitswelt zu decken. Sollte der Bedarf an qualifizierten Projektmanagement-Experteninnen und -Experten nicht gedeckt werden, kann allein Europa 83,1 Milliarden US-Dollar des Bruttoinlandsproduktes verlieren, weltweit wird dieser Schaden auf insgesamt 345,5 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Diese Zahlen zeigen, dass es sich lohnt, den Blick auf das Projektmanagement zu wenden. Insbesondere Frauen könnten dazu beitragen, den Talent Gap im Projektmanagement zu schließen. Doch wie sieht der Bedarf auf der Mikroebene, also auf Seiten der Unternehmen aus und wonach suchen Projektmanagerinnen, um einen Wechsel ihres Arbeitsgebers in Betracht zu ziehen? Diese und weitere Fragen beantwortet Cathrin Witte, Director Consulting bei CareerTeam, im Gespräch mit Darya Schwarz-Fradkova, der Betreiberin des Blogs www.die-projektmanagerin.de, der sich für mehr Frauen im Projektmanagement einsetzt.
Liebe Cathrin, beobachtest du einen erhöhten Bedarf an weiblichen Profilen im Projektmanagement auf Seiten deiner Kundschaft?
Diese Frage kann ich klar mit Ja beantworten. Tatsächlich stellen meine Kolleg:innen und ich einen erhöhten Bedarf an Frauen nicht nur im Projektmanagement, aber eben auch in dieser Disziplin, auf Seiten unserer Kunden fest. Die Sensibilität für das Thema erleben wir gehäuft bei jüngeren kleineren Unternehmen, aber auch modern aufgestellten Corporates. In traditionellen Mittelstandsunternehmen oder Konzernen fehlt diese Perspektive häufig noch. In diesen Umfeldern haben es Frauen dann besonders schwer, Führungsverantwortung zu übernehmen, da oft mehr Vorurteile gegen sie bestehen.
Wir erleben es leider hin und wieder, dass die Einstellung von Frauen als „Risiko“ betrachtet wird, da Frauen potenziell aufgrund einer Schwangerschaft ausfallen könnten. Gerade Projektmanagement als Berufsfeld verlangt eine hohe zeitliche Flexibilität und tatsächlich können viele Frauen diese durch die modernen Arbeitsbedingungen gewährleisten. Es muss aber noch Überzeugungsarbeit von unserer Seite geleistet werden, damit dies durch die Einstellenden anerkannt wird.
Wie wird dieser Bedarf seitens der Kundinnen und Kunden begründet?
Frauen sind oftmals realistischer in der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Das bedeutet, dass sie – und das ist im Projektmanagement, aber auch in anderen Führungspositionen wichtig – erreichbare Ziele für sich und ihr Team stecken. Darüber hinaus sind Frauen als Projektmanagerinnen oft nahbarer und emphatischer, wodurch sie ihre Teams anders motivieren. Sie sind oftmals selbst durch intrinsische Faktoren getrieben und können diese an ihr Team entsprechend weitergeben.
Welche Anforderungen stellen Unternehmen an Bewerberinnen für Projektmanagement-Positionen?
Diese hängen stark vom jeweiligen Unternehmen ab. Ein besonderes Augenmerk wird natürlich auf die bisher durchgeführten Projekte und die gemachten Erfahrungen gelegt. Eine hohe Flexibilität ist ebenfalls Voraussetzung für viele unserer Kundinnen und Kunden.
Es mag vielleicht überraschen, dass Zertifikate weniger bedeutend sind, als auf den ersten Blick vermutet. Umso wichtiger ist für uns als Vermittler dann die Persönlichkeit der Kandidatin. Diese sollte dynamisch und lösungsorientiert sein. Wir suchen nach Leuten, die gerade auch in Peak-Phasen Lust haben, aktiv mitzumachen und nicht nur steuernd einzugreifen. Dies versuchen wir abzufragen, indem wir uns für Rollen,Verantwortungen, KPIs, Erfolgen und Misserfolgen aus bisherigen Projekten interessieren. Mit Hilfe von projektiven Fragen – zum Beispiel nach positiven Eigenschaften eines Vorgesetzten oder der Selbstbeschreibung aus den Augen von Dritten - finden wir mehr über die Persönlichkeit von Kandidatinnen heraus.
Wie ist der Bewerberinnen-Pool im Projektmanagement?
Projektmanagement kann ein Sprungbrett für sämtliche strategische Rollen sein. Gute Projektmanagerinnen, vor allem wenn sie Consulting-Erfahrung mitbringen, sind sehr beliebt am Markt. Die Verfügbarkeit der weiblichen Profile ist stark von der Branche abhängig. Im Bereich der Consumer Goods haben wir beispielsweise noch zahlreiche weibliche Profile. In der Industrie hingegen sind es dann schon deutlich weniger. Sobald es dann technischer wird, wie zum Beispiel in der Software-Branche, finden wir kaum noch Frauen. Auch gibt es Unterschiede über die Erfahrungsstufen hinweg. Es ist deutlich einfacher, einschlägige Profile mit weniger Berufserfahrung zu finden als auf den höheren Stufen. Sobald es Richtung C-Level oder Geschäftsführung geht, finden wir deutlich weniger Frauen. Wir geben unseren Partnerinnen und Partnern zu Anfang unserer Arbeit ein realistisches Bild über den Markt.
Welche Anforderungen stellen Projektmanagerinnen an die Unternehmen?
Gerade bei weiblichen Profilen ist das Gehalt und der Status zwar wichtig, aber häufig nicht der wesentliche Entscheidungsfaktor für einen Wechsel. Weitaus bedeutender sind Faktoren wie Flexibilität in der Arbeitsgestaltung, Mitbestimmungsmöglichkeiten und Entscheidungsgewalten. Darüber hinaus wünschen Projektmanagerinnen sich individuelle Weiterentwicklungsmöglichkeiten - nicht nur horizontal, sondern auch vertikal. Wichtig sind weiterhin der persönliche Fit mit dem eigenen Team und der Führungskraft sowie die passende Unternehmenskultur. Nicht zuletzt fragen Frauen immer wieder nach flexiblen und hybriden Arbeitsmodellen.
Woran scheitern Besetzungen von Frauen im Projektmanagement am häufigsten und wie könnten Unternehmen diesem entgegenwirken?
Hierfür gibt es vor allem zwei Gründe. Der erste Grund ist die die fehlende Flexibilität der Arbeitsgestaltung. Hier brauchen nicht nur, aber eben immer noch besonders Frauen mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten und dem Arbeitsort. Hybride Optionen bieten bessere Vereinbarkeit von privatem und beruflichen Leben. Der zweite Grund ist, dass die vorgestellte Unternehmenskultur nicht gelebt wird. Es braucht Vertrauen durch Entscheidungs- und Gestaltungsräume und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Die Kultur muss lebendig sein und darf nicht nur aus Buzz Words bestehen.